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Ich war es leid, Versuchskaninchen zu sein

Ann-Kathrin ist 22 Jahre alt und lebt mit ihrem Verlobten in Marburg. Seit einem Jahr trägt sie einen ileoanalen Pouch. Zuvor hatte sie für drei Monate ein Ileostoma, dass wieder zurückverlegt wurde. Ihr Studium konnte sie bis heute leider nicht wieder aufnehmen, aber sie schaut optimistisch in die Zukunft.

Über Monate schon hatte ich 2008 nach fast jeder Mahlzeit schwere Bauchschmerzen und Durchfälle, als im Dezember 2008 mein Hausarzt bei mir eine Colitis ulcerosa festgestellt wurde. Mein Hausarzt sagte damals: „Das kriegen wir in den Griff, das liegt an der Ernährung.“ Er hat dann einen Lebensmitteltests durchgeführt, daraufhin sollte ich auf ziemlich viel verzichten. Keine Milchprodukte, keine Getreidesorten, keine Hefe, fast keine Gemüsesorten. Daran habe ich mich ein halbes Jahr gehalten, aber es ging mir kein bisschen besser.

Ich habe es in dieser Zeit noch geschafft, mein Abitur zu machen, und im September 2009 zum Studium mit meinem Freund Robert nach Marburg zu ziehen. Doch dann habe ich immer öfter gemerkt, dass ich viel zu schwach war und kaum zehn Schritte am Stück laufen konnte. Ich dachte: „Ich komme nicht mal mit dem Bus bis zur Uni!“

Ich habe es in dieser Zeit noch geschafft, mein Abitur zu machen, und im September 2009 zum Studium mit meinem Freund Robert nach Marburg zu ziehen. Doch dann habe ich immer öfter gemerkt, dass ich viel zu schwach war und kaum zehn Schritte am Stück laufen konnte. Ich dachte: „Ich komme nicht mal mit dem Bus bis zur Uni!“

Ich hatte von meiner Krankheit wirklich keine Ahnung. Also habe ich mich im Internet etwas schlau gemacht und gesehen, dass es in einem Uniklinikum eine Spezialsprechstunde für Crohn und Colitis gibt. Termin gemacht – und die haben mich gleich dabehalten. Dabei kam heraus, dass ich einen extrem niedrigen Wert von Roten Blutkörperchen hatte, HB 4,8.

Keine zwei Wochen mehr…

Der Arzt dort hat mir an dem Tag gesagt, dass ich das keine zwei Wochen mehr durchgestanden hätte. Bei diesem zehntägigen Krankenhausaufenthalt wurde ich auf verschiedene Medikamente sowie Cortison eingestellt. Es ging mir damit so lange gut, bis das Cortison ausgeschlichen wurde. Ich war in den nächsten Monaten dann häufiger im Krankenhaus. Wir haben in der Zeit weitere Medikamente durchgetestet. Nichts half. Meine Ärztin hatte mich auch auf die Möglichkeit einer Operation vorbereitet. Der letzte Versuch war dann noch eine Kombination aus einem bereits an mir getesteten Medikament und einer hohe Dosis Cortison. In der Zwischenzeit wurde ich für das Studium krankgeschrieben, habe mich aber immerhin mit Robert verlobt.

Ich bekam dann über zwölf Wochen 60 mg Cortison täglich. In dieser Zeit ging ich auf wie ein Hefekloß, habe mich nicht mal mehr auf die Straße getraut. Ich sah grausig aus, aber sonst ging es mir sehr gut! Als wir im November 2010 anfingen, das Cortison auszuschleichen, ging alles wieder von vorne los: Ab 30 mg fühlte ich mich schon schlechter, ab 25 mg fingen die Schmerzen wieder an. Und ab 20 mg hatte ich wieder blutige Durchfälle.

Ich war es so leid, Versuchskaninchen zu sein, und meine Ärztin hat gesagt: „Jetzt ist es genug. Jetzt jetzt bleibt nur die Operation“, und hat alles organisiert. Total naiv ging ich an diese Operation heran. Im Nachhinein ist es mir unbegreiflich, wieso ich mich nicht weiter informiert hatte. Allerdings hoffte ich auch noch bis einen Tag vor der Operation, dass ich um ein Stoma herum kommen würde.

Am 25. März 2011 wurde mir in einer erfahrenen Klinik der Dickdarm komplett entfernt und eben ein Pouch angelegt sowie ein Ileostoma. Die OP verlief sehr gut, nun hatte ich ein Stoma. Am Anfang haben sich die Pflegekräfte darum gekümmert. Sobald ich wieder auf eigenen Beinen stehen konnte, habe ich sehr schnell damit angefangen, mein Stoma auch selbst zu versorgen. Die Stomaschwester hat mir gezeigt, wie man das macht. Es klappte auf Anhieb ganz gut.

Jetzt ging es nur noch darum, dass ich die Nahrung bei mir behielt. Ich musste mich zunächst noch jeden Tag übergeben. Nach 14 Tagen war ich soweit, man konnte mich wieder nach Hause entlassen.

Ich war danach bei meinen Eltern und habe dort zwei Wochen auf meine Reha gewartet. Noch immer sehr geschwächt, fuhr ich nach Nord-Hessen zur Anschlussheilbehandlung. Gerade mal eine Anwendung habe ich dort geschafft. Gleich am ersten Wochenende bekam ich plötzlich Fieber, und die Reha musste abgebrochen werden. Zurück im Krankenhaus hat kein Arzt herausgefunden, was los war. Ich bekam Antibiothika und wurde nach 6 Tagen in besserem Zustand wieder entlassen.

Ich konnte nach Hause zu meinem Freund. Dort fiel es mir jedoch immer schwerer, mich aufzuraffen. Ich fühlte mich nicht wohl in meiner Haut. Das Stoma hatte mir den Rest meines Selbstbewusstseins genommen. Leider kannte ich zu diesem Zeitpunkt niemanden, der ein Stoma hat und mir etwas Mut machen konnte. Mein Freund Robert hat kein Problem mit meinem Stoma gehabt, das war toll. Er hat das besser akzeptiert als ich. Er ist Gesundheits- und Krankenpfleger, daher war das ganz normal. Er hat sich eher mal lustig gemacht, weil mein Stoma doch sehr viel gegluckert hat.

Intime Momente fielen mir sehr schwer. Selbst beim Sex kreisten meine Gedanken immer um das Stoma. Ich habe mich die fast vier Monate mit dem Stoma nur eingeigelt und das Haus kaum verlassen. Ich war unendlich froh, als ich den Termin für die Rückverlegung bekam.

Ann-Kathrin lebt mit einem ileoanalen Pouch

Die Operation lief völlig unkompliziert am 4. Juli 2011 – meinem persönlichen Independence-Day. Ich lag im Aufwachraum und habe die Schwester angeguckt: „Und? Ist das Stoma weg?“ Da hat sie die Decke zurückgeschlagen und gezeigt: „Es ist weg.“ Das war ganz toll, alles lief super. Im Krankenhaus kam ich sehr schnell auf die Beine und durfte einen Tag früher als geplant nach Hause gehen.

Zu Hause kam ich ziemlich gut zurecht. Anfangs musste ich noch meinen dünnflüssigen Stuhl eindicken mit einem Präparat aus Flohsamen. Es hat mich einige Überwindung gekostet, dieses Zeug zu trinken. Wenn ich es aber eingenommen hatte, drückte der sich füllende Pouch mir die Harnröhre ab. Ich konnte mitunter 24 Stunden kein Wasser lassen bei ständigem Blasendruck. Die ersten Tage habe ich gar nicht begriffen, was da los war, doch dann habe ich mich ganz schnell vom dem Mittel verabschiedet. Mit der Zeit wurde meine Stuhlfestigkeit auch ganz gut.

Ich vertrage zwar die meisten Nahrungsmittel ohne Probleme. Bei meinen früheren Tests mit Lebensmitteln hatte ich ja gelernt, genau darauf zu achten, wie ich auf einzelne Produkte reagiere. Was ich nicht vertrage, das kann ich dann weglassen, kein Thema. Kohlensäure vermeide ich: Ich trinke einen Schluck Cola und habe mindestens zwei Tage Blähungen. Auch fettige Sachen, also wie zum Beispiel Käsespätzle oder die Gans letztes Weihnachten, das geht gar nicht. Davon wird mir schlecht und es blockiert im Darm. Die Schmerzen sind dann sehr böse. Und bis sich so eine Blockade löst, kann das bei mir zwei bis drei Tage dauern, bis ich endlich wieder zur Toilette kann.

Seit der Rückverlegung vor einem Jahr tasten Robert und ich uns körperlich langsam wieder aneinander ran. Nach der Operation kommt körperliche Lust in mir nur selten auf. Wenn ich diese Lust aber habe, erlebe ich den sexuellen Akt intensiver als früher, da ich deutlicher in meinen Körper hinein höre. Allerdings muss ich mich beim Geschlechtsverkehr an dieses Gefühl gewöhnen, dass sein Penis auf meinen Pouch drückt. Ich habe dann jetzt noch den Eindruck, zu müssen.

Für Ann-Kathrin ist ein Stoma heute kein Weltuntergang mehr

Ich bin wirklich froh, dass ich kein Stoma mehr habe und hoffe, dass ich eine sehr lange und glückliche Zeit mit meinem Pouch haben werde. Doch in den letzten Monaten habe ich ganz viele tolle Menschen kennengelernt, die auch super mit ihrem Stoma umgehen. Ich habe gelernt, dass es kein Weltuntergang ist, für immer ein Stoma zu bekommen. Man muss sich Leute suchen, die das gleiche erlebt haben wie man selbst. Da kann man sich Hilfe und Tipps holen, Mut zusprechen lassen, sich wirklich auffangen lassen. Die Angehörigen können dir zwar viel Beistand leisten und für dich da sein, aber – richtig verstehen können sie dich nie.