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Ich nenne meine Stomata heute nur Stan und Ollie

Ingo ist 46 Jahre alt und lebt mit seiner Frau und seinem Sohn in Beckum. Ein lebensbedrohliches Geschwür im Bauch, das sich bei ihm durch die seltene und unheilbare Erkrankung Neurofibromatose gebildet hatte, konnte vor fünf Jahren entfernt werden. Seitdem begleiten ihn zwei Stomata: ein Colostoma und ein Urostoma.

Grunderkrankung bei mir ist Neurofibromatose. Das ist eine angeborene, bisher nicht heilbare Erkrankung. Da können an den Nerven Geschwüre wachsen, Neurofibrome. Diese Geschwüre bilden sich meistens nur unter der Haut, können in großer Anzahl auftreten und sich als kleine Knubbel bemerkbar machen. Es können sich aber auch innerhalb des Körpers Geschwüre bilden, die dann sehr große Ausmaße annehmen können, so wie es bei mir im Unterleib war.

Also, als ich operiert worden bin, war das Ding 27 cm groß. Man hat von außen nichts gesehen, aber es hat halt alles umwachsen, eingewachsen und verdrängt, was gerade möglich war. Aufgefallen ist das Ganze plötzlich, als wir gerade hier in unser neues Haus eingezogen sind. Da hat meine Frau mich gefragt: „Was hast du für ein komisches dickes Bein?“

Ich wusste ja, dass ich durch meine Neurofibromatose dieses Geschwür im Unterbauch habe, nur nicht wie groß. Das wurde dann halt in der Uniklinik festgestellt, und dass dieses riesige Geschwür auch sehr stark auf die Beinvene gedrückt hat. Da haben sie gesagt „Das muss sofort raus!“ und haben mich daraufhin operiert.

Nach 12 Stunden OP haben die mich aus dem Saal rausgeschoben und haben meiner Frau nur gesagt: „Beutel rechts, Beutel links. Ob er überlebt, wissen wir nicht. Und eventuell müssen wir noch die Beine amputieren.“ Ja, der Arzt hat sich hinterher entschuldigt, er war total gestresst. In den Beinen hatte sich das ganze Blut gestaut, sie wussten nicht, ob sie die retten könnten. Sie haben mich anschließend noch mal in den OP-Saal reingefahren und haben es dann doch geschafft.

Klaudia, meine Frau, hat mir das später erzählt. Ich war so zugedröhnt… Ich bin aufgewacht und hatte auf einmal zwei Beutel auf dem Bauch… Mein Colostoma und mein Urostoma habe ich also direkt in der ersten OP bekommen. Ich nenne sie heute Stan und Ollie, „Dick und Doof“.

Ingo lebt mit einem Colostoma und einem Urostoma

ch habe sie beide sofort angenommen, es war nichts Außergewöhnliches für mich. Ich hab mir gesagt: „Das ist jetzt so, damit kommst du jetzt klar, und fertig ist.“ Obwohl ich noch gar keine genauen Vorstellungen hatte. Mein Colostoma habe ich mir zunächst auch noch gar nicht genau angeguckt. Ich dachte, man hat ein Loch im Bauch und gut. Dass ja jetzt noch so ein Stückchen Darm rausguckt, davon wusste ich erst noch nichts. Die Broschüren zu lesen, die sie mir damals ans Bett gelegt haben, dafür war ich zu dem Zeitpunkt ehrlich gesagt noch zu döselig. Irgendwann war ich halt soweit, dass ich auch hingeguckt habe, wenn sie bei mir die Versorgungen gewechselt haben. Und eines Tages habe ich gesagt: „So, das kann ich jetzt auch alleine.“

Und da habe ich lange, lange im Krankenhaus gelegen, bin von der Chirurgie in die Urologie verlegt worden. In der sechsten Woche fragt mich einer der Pfleger: „Hier im Zimmer nebenan liegt eine Frau, der steht dasselbe bevor, was du schon hast. Die soll auch zwei Stomata bekommen und hat davor tierische Angst. Magst du vielleicht mal rübergehen, dich mit ihr unterhalten, und der so ein bisschen was erzählen?“ Da habe ich mich in einen Rollstuhl gesetzt, weil ich ja noch nicht laufen konnte wegen meiner Beinoperation, und bin rübergefahren. Ich habe mich lange mit der Frau unterhalten und glaube, dass ich ihr ein bisschen die Angst genommen habe. Jedenfalls sah sie anschließend nicht mehr so frustriert aus wie vorher. Das war eigentlich eine schöne Erfahrung, dass Gespräche dabei helfen, den Leuten wirklich die Angst zu nehmen.

Das waren so zwei Monate im Krankenhaus, dann kamen vier Wochen Reha und danach wieder ins Krankenhaus. Noch mal eine OP, wieder lange im Krankenhaus geblieben, weil es halt immer noch nicht richtig lief.

Das war alles 2007. Ich, meine Frau, kleines Kind, wir waren gerade ins Haus eingezogen, noch eine halbe Baustelle. Wir haben uns das Haus gekauft und das meiste eigentlich selbst renoviert. Und meine Frau musste dann zusehen, wie sie das alles allein gebacken kriegt. Das war eine verdammt harte Zeit für sie.

Ingos achtjähriger Sohn passt auf seinen Vater auf

Auch für Paul, unseren Kurzen, der war damals drei. Hat natürlich schon sehr viel mitgekriegt und ich glaube, dass hat ihn schon sehr, sehr geschockt. Vor allem als er mich im Krankenhaus besucht hat – du liegst halt da, dann hier ein Beutel, da ein Beutel…

Er ist jetzt acht. Ich denke, dass er das alles gut verarbeitet hat. Ich bin nach wie vor sein Bester. Er weiß auch ganz genau, was mit mir los ist. Wenn mal irgendwie herumgetobt wird mit seinen Freunden und Cousins, dann sagt er: „Pass bei meinen Papa auf, da darfst du nicht an den Bauch, sonst ist was los!“ Und neulich hat mein Sohn gesagt: „Mein Papa macht Pipi auf dem Bauch.“ Er nimmt es eigentlich recht locker. Auch meine Frau hat das alles angenommen, wie es ist. Sie hat nicht viel damit zu tun, ich versorge mich komplett selbst. Sie sagt nur immer, ich soll aufpassen, wenn ich irgendwas hebe, ich soll ja nicht heben. Wenn wir neue Leute kennenlernen, nach einer bestimmten Zeit sage ich auch, was mit mir ist. Also falls da jemand fragt: „Kannste hier grad mal heben?“, dann erfährt er von mir halt, warum ich es nicht kann.

Ich bin im IT-Bereich tätig bei einem Süßwarenhersteller. Schokolade, Bonbons, Schokoküsse und was wir nicht alles haben. Ich betreue die ganzen Auslandstöchter der Firma im Bereich SAP. Wenn die Fragen zu betriebswirtschaftlichen Abläufen in ihren Büros, dann muss ich mir Gedanken machen und die Leute dort entsprechend beraten. Dazu muss ich viel reisen. Anfang des Monats war ich jetzt gerade in Singapur. Dass ich in so warme Länder fahre ist aber selten. Hauptsächlich treibe ich mich hier in Europa rum. Mit meinen Stomata bin ich überall klar gekommen. Ich nehme all die Sachen für die Versorgung immer mit auf Reisen. Packe sowieso immer viel zu viel ein. Meine Arbeitskollegen hier, die Leute bei mir in der Abteilung, wissen alle Bescheid. Ich habe gedacht: „Ich habe nur eine Chance, ich muss denen nur sagen, wie ist es“. Und so habe ich es ihnen erklärt: „Also Leute, passt auf, ich habe zwei Beutel auf dem Bauch. Wenn wir mal am Tisch sitzen, kann es mal lauter werden, wenn Luft aus dem Colostoma kommt, aber es ist nicht schlimm. Da ist ein Filter drauf, das stinkt nicht.“

Pannen …

Eine wirklich große Panne ist mir Gott sei Dank noch nie passiert, wo es wirklich jemand mitbekommen hat, nö. Bei der Versorgung meines Urostomas kann es schon mal passieren, dass das Ventil nicht ganz dicht ist. Dann bildet sich so ein schöner deutlicher Fleck an der Hose. Ich merke das halt immer rechtzeitig, suche blitzschnell die Toilette auf, wasche das schnell aus und wenn mich dann einer fragt, sag ich: „Kaffee ausgeschüttet.“

Seit der letzten OP im vorigen Jahr gehe ich auch wieder ins Schwimmbad. Ja, davor konnte ich nicht, weil ich von den OPs immer noch eine Drainage oder irgendwo eine offene Wunde gehabt habe. Aber seitdem gehe ich wieder schwimmen. Wir haben den Geburtstag von unserem Kurzen dieses Jahr im Schwimmbad gefeiert: Ich bin zwei Stunden lang im Wasser gewesen – ohne Probleme. Anschließend haben die Versorgungsbeutel noch zwei Tage gehalten, also ich musste nicht extra wechseln. Die hafteten sogar noch besser als vorher.

Man soll vor einem Stoma keine Angst haben, man muss sich zwar mit Sicherheit erst mal dran gewöhnen, aber ich denke, dass ein Stoma durchaus auch ein Lebensretter sein kann. Daher sollte man sich nicht dagegen sträuben. Alles wird gut.