Zuzahlungen in der Gesetzlichen Krankenversicherung – Theorie und Praxis - Stoma-Welt - http://stoma-welt.cumodis.de/

Zuzahlungen in der Gesetzlichen Krankenversicherung

Theorie und Praxis

Inzwischen haben sich Patienten:innen daran gewöhnt, dass viele Leistungen der Krankenkassen nur noch zur Verfügung stehen, wenn sie aus dem eigenen Geldsäckel etwas beisteuern. Unklarheiten gibt es aber immer noch. Der Hinweis von Sanitätshaus oder Homecare-Unternehmen, dass individuelle Fragen mit der Krankenkasse zu klären sind, führt aber noch lange nicht immer zur gewünschten Klarheit. Darum hier einiges im Klartext, speziell für Menschen mit einem Stoma. Sie sind „chronisch krank“ im Sinne des Gesetzes (SGB V). Deshalb gilt für sie die reduzierte Belastungsgrenze von 1 % des Familieneinkommens statt 2 % (allgemeine Belastungsgrenze).

Was heißt „chronisch kranke Menschen“?

Die Krankheit muss ein volles Jahr lang bestehen und in dieser Zeit von einem Arzt mindestens einmal pro Quartal behandelt worden sein. Darüber hinaus muss eines der folgenden Kriterien erfüllt sein:

  • Der Patient ist pflegebedürftig nach Pflegegrad 3 oder höher.
  • Der Patient ist aufgrund seiner Erkrankung mindestens zu 60 Prozent erwerbsgemindert oder behindert. Die Erwerbsminderung beziehungsweise Behinderung muss durch diese Erkrankung begründet sein.
  • Wegen der Krankheit ist eine kontinuierliche medizinische Versorgung erforderlich, ohne die nach ärztlicher Einschätzung eine lebensbedrohliche Verschlimmerung der Erkrankung zu erwarten ist oder eine Verminderung der Lebenserwartung oder eine dauerhafte Beeinträchtigung der Lebensqualität.

Entsprechende Bescheinigungen stellen die Hausärzte aus, Formulare liegen dort vor:

Wenn mindestens ein – auch als Familienmitglied – gesetzlich versicherter Angehöriger des Familienhaushalts schwerwiegend chronisch krank ist, reduziert sich die Zuzahlungsgrenze für alle Angehörigen des Familienhaushalts auf 1 Prozent der jährlichen Familienbruttoeinnahmen im Kalenderjahr. Die Absenkung der Grenze gilt ab dem 1. Januar des Kalenderjahres, in dem die Behandlung der chronischen Erkrankung ein Jahr andauert. Sollte der chronisch Erkrankte nicht bei der Krankenkasse versichert sein, die einen Befreiungsausweis (für ein anderes Familienmitglied) erstellen soll, benötigt diese eine Kopie des Bescheids der Krankenkasse, bei der der Erkrankte versichert ist.

Beispiel

Der Patient befindet sich seit 11. Juni 2021 wegen Colitis ulcerosa in Behandlung. Wenn er bis zum 10. Juni 2022 wenigstens einmal im Quartal wegen dieser Krankheit in ärztlicher Behandlung war, liegt eine Dauerbehandlung vor. Die einprozentige Zuzahlungsgrenze gilt dann rückwirkend ab dem 1. Januar 2022

Einkommen

Zum Einkommen zählen alle Einnahmen, also auch Renten, Mieterträge und Zinserträge. Nicht dazu zählen Renten nach dem BVG und Pflegegeld (Pflegeversicherung, Landespflegegeld, Hilfe zur Pflege nach SGB XII). Sind Angehörige zu berücksichtigen, werden vom Einkommen Freibeträge von 6.111 € für den Partner bzw. 8.952 € je Kind abgesetzt. 

Bei Alleinerziehenden berücksichtigt die Krankenkasse für das erste Kind den höheren Freibetrag, der sonst für den Ehegatten oder Lebenspartner gelten würde, also 6.111 €, als gesetzlichen Freibetrag für Betreuung, Erziehung und Ausbildung je Kind, insgesamt also 5.616 € für das erste und 4.944 € für jedes weitere Kind (Stand Juli 2009). Dieser Freibetrag von 2.160 bzw. 1.080 € kann bei der Krankenkasse, wie übrigens jede Zuzahlungserstattung, auch noch rückwirkend geltend gemacht werden. Denn Ansprüche im Sozialrecht verjähren erst nach vier Jahren, beginnend mit dem Ende des Jahres, in dem sie entstanden sind. Erstattungen sind in 2009 also noch rückwirkend für die Jahre 2005 -2008 möglich. Bei einer vierköpfigen Familie sind das immerhin 86,40 € (bei „chronisch Kranken“ die Hälfte, also 43,20 €) pro Jahr. Für Alleinerziehend reduziert sich der mögliche Erstattungsbetrag auf die Hälfte.

Für Familien gilt:

Nach § 62 SGB V Abs. 2 werden die Zuzahlungen und die Bruttoeinnahmen gemeinsam ermittelt, d. h. sobald die Zuzahlungen aller Familienangehörigen insgesamt 1 % erreichen, kann ein Befreiungsnachweis von der Krankenkasse angefordert werden. Mit dem Befreiungsausweis, den die Krankenkasse dann zuschickt, sind keine Zuzahlungen mehr zu leisten. Das gilt auch für Ehepartner und familienversicherte Kinder. Evtl. schon geleistete Überzahlungen erstattet die Kasse, meist auf Antrag, manchmal auch unaufgefordert.

Zuzahlungen, wo gelten sie?

Worauf müssen Zuzahlungen geleistet werden? Wir geben ihnen einen Überblick welche Zuzahlungen für Arzneitmittel, Heilmittel, Hilfsmittel, Behandlungen, Kuren, etc. zu leisten sind. Außerdem erläutern wir, was eigentlich unter „wirtschaftlichen Aufzahlungen“ zu verstehen ist:
Zuzahlungen, wo gelten sie?

Als Angehörige gelten der Ehepartner bzw. der Lebenspartner nach dem Lebenspartnerschaftsgesetz (gleichgeschlechtliche Paare) und darüber hinaus die ebenfalls im gemeinsamen Haushalt lebenden Kinder. Kinder von getrennt lebenden oder geschiedenen Ehepartnern werden bei dem Elternteil berücksichtigt, bei dem sie wohnen, unabhängig davon, bei wem die Familienversicherung besteht. Selbst versicherte Kinder gehören nicht dazu. Umgekehrt ist ihr Einkommen auch nicht zu berücksichtigen.

Bei Empfängern von Hilfe zum Lebensunterhalt nach SGB XII („Sozialhilfe“, nicht Hilfe zur Pflege!), von Arbeitslosengeld II und von Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung, wird jeweils nur der Regelsatz des Haushaltsvorstands als Bruttoeinkommen für die gesamte Bedarfsgemeinschaft gezählt, das heißt der jährliche Zuzahlungsgesamtbetrag beträgt (2009) bei chronisch Kranken 42,60 €, allgemein 85,20 €.

Belege

Immer dann, wenn eine Zuzahlung zu leisten ist, gibt es eine Quittung, auf der auch der Name des Zahlers vermerkt sein muss. Das ist wichtig weil die Krankenkasse die Belege sonst nicht anerkennt. Manche Kassen und Apotheken verschenken auch kleine Büchlein, in denen die Zahlungen quittiert werden. Damit spart man das Belege sammeln. Keine Angst, zusätzliche Belege kann man trotzdem mit dem formlosen Begleitbrief einreichen, mit dem man um die Befreiung von der Zuzahlung und die Rücküberweisung schon zuviel gezahlter Beträge bittet.

Fährt man mit dem privaten PKW und es ergibt sich dabei Kilometergeld, das unter der Zuzahlungsgrenze liegt, sollte man diese Fahrten trotzdem nachweisen, weil diese Beträge bei der Ermittlung der Belastungsgrenze mit berücksichtigt werden. Das gleiche gilt für Fahrten mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Da reichen die Fahrscheine aus

Befreiung von Zuzahlungen

Fast alle Krankenkassen bieten ab dem zweiten Jahr der Befreiung zum Jahresanfang ihren Mitgliedern die Möglichkeit, durch Zahlung eines Betrages, der auf dem Familieneinkommen des Vorjahrs basiert, direkt den Nachweis zur Befreiung für das laufende Jahr zu bekommen, so dass keine Belege mehr gesammelt und möglicherweise überzahlte Beträge zurück überwiesen werden müssen. Die übliche Praxis ist, dass nach Jahresende dann trotzdem ein Einkommensnachweis verlangt wird. Dieser gilt dann aber nicht zur nachträglichen Verrechnung des abgelaufenen Jahrs sondern als Grundlage für eine Zahlung, die dann für das folgende Jahr die Befreiung bewirkt. Eine rückwirkende Verrechnung wäre unwirtschaftlich.

Umgekehrt ist mit dieser Praxis der Nachteil verbunden, dass auch keine Rückerstattung erfolgt z. B. wenn man weniger als erwartet verdient hat oder wenn eine versicherte Person im Laufe eines Jahres verstorben ist. Die Vorteile für beide Seiten, Krankenkasse und Mitglied rechtfertigen diese Handhabung aber. Ob die Krankenkassen das BSG-Urteil (siehe oben unter Einkommen) zum Anlass nehmen, von sich aus rückwirkend die Beträge von zu 43,20 € bzw. 21,60 € je Kind zu erstatten ist zu diesem Zeitpunkt noch unklar. Es lohnt sich auf jeden Fall, das zu beantragen und vor allem im kommenden Jahr weniger pauschale Zuzahlungen zu akzeptieren.

Hinweis des Autors

Einen „Musterpatienten“ gibt es nicht. Ein Gesetz ohne Auslegungsprobleme noch viel weniger. Deshalb kann dieser Artikel nur wichtige Punkte erläutern und klarstellen. Er soll zur Information selbst betroffener Menschen dienen, um ihnen in Gesprächen mit ihren Krankenkassen mehr Sicherheit zu geben, wenn diese, aus welchem Grund auch immer, einen Anspruch „anders beurteilen“. Und das geschieht immer wieder. Denn Krankenkassen sind genauso parteiisch wie ich.